Digitale Souveränität: Warum der Begriff «Unabhängigkeit» nicht hilft

Es gibt zahlreiche Positionsbezüge, die «digitale Souveränität» mit «Unabhängigkeit» übersetzen oder gleichsetzen. Der Begriff der Unabhängigkeit führt aber nicht weiter.  

Bereits der Hinweis auf den Begriff der «souveränen Gleichheit» in der UN-Charta zeigt, dass der Begriff der Unabhängigkeit eine sehr eng verstandene Bedeutung haben muss, wenn man die Beziehung zwischen Staaten beschreibt. Völkerrechtlich meint der Begriff «politische Unabhängigkeit» (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta), d.h. das Fehlen eines Gremiums, das den selbstbestimmt gewählten Gremien übergeordnet ist. Würde man vollkommene Selbstwirtschaft meinen, müsste man dies sagen. Tatsächlich betonen auch die meisten Positionsbezüge im Zusammenhang mit digitaler Souveränität, dass es nicht um Autarkie gehen soll, wenn Unabhängigkeit zum Ziel erklärt wird. Welche begriffliche Restmenge durch den Begriff der Unabhängigkeit gemeint ist, bleibt aber unklar.

Teil der Alltagsgestaltung

Wer Technologie einkaufen oder nutzen will, kann sich am bekannten Praktikermodell «CIA» zur Planung von Technologie orientieren (Confidentiality, Integrality, Availability, zu deutsch: Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit). In diesem Modell klingt Unabhängigkeit im Sinne der Sicherung von Business Continuity im Prüfpunkt «Availability» an (Verfügbarkeit von Systemen und Daten). Planen der Technologienutzung ist Alltagsgestaltung. Die Reduktion von Abhängigkeiten kann somit im Rahmen der Alltagsgestaltung ein wichtiges Ziel sein.

Unabhängigkeit als Begriff ist jedoch zu unbestimmt, um in der Diskussion über digitale Souveränität einen Nutzen zu stiften. Wenn schon, müsste man den Gegenbegriff – Abhängigkeit – verwenden. Totale Abhängigkeit von aussen kann handlungsunfähig machen, «ein wenig» Abhängigkeit macht kaum je handlungsunfähig.

Das heisst nicht, dass man Abhängigkeiten nicht angehen soll. Man will seine Abhängigkeiten im Griff haben: Abhängigkeit kann ein Risiko darstellen, das man mit geeigneten Massnahmen abfedern muss. Dabei gilt Methodenvielfalt.

 

Beispiel öffentliches Beschaffungswesen

Im Rahmen von Ausschreibungen können Abhängigkeiten durchaus berücksichtigt werden. Zu viel Abhängigkeit kann ein Qualitätsfehler sein, der im Rahmen von Zuschlagskriterien bewertet werden kann. Abhängigkeit ist aber kein Ausschlusskriterium; denn jeder Entscheid begründet Abhängigkeiten. Zu bewerten und zu gewichten ist somit das Mehr-oder-Weniger der Abhängigkeit, sofern Abhängigkeit mit Blick auf den Beschaffungsgegenstand eine Bedeutung hat. Ob es diese Bedeutung gibt, ist aus der Brille der Alltagsgestaltung zu beantworten.

 

Dass sich aus Abhängigkeiten eine institutionell nachteilige Wirkung entwickeln kann, kann hier nicht rundweg ausgeschlossen werden. Alltagsgestaltung und Verantwortung hierfür verbleibt bei der jeweiligen Amtsstelle. Sollte zur Prüfung systemischer Wirkungen – z.B. auf Departementsebene – eine zentrale Stelle eingerichtet werden, würde diese nicht in einzelne Beschaffungsentscheide eingreifen. Aber zentralisiertes Wissen (geheim zu halten und schutzbedürftig, da sicherheitsrelevant) kann vor systemischen Risiken schützen. Bei alldem sollte man sachlich bleiben. Mit nur potenziell denkbaren Befürchtungen sollte man anders umgehen als mit konkreten und drohenden Risiken.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Grundlagenpapier zum Whitepaper «Digitale Souveränität».

 

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